Hierbei muss man nicht die menschliche Natur der Gebärenden (Maria, die Mutter Jesu) im Auge haben, sondern den Willen dessen, der geboren wird (Jesus, der Sohn Gottes), der in der Weise Mensch wurde, wie er es wollte und konnte. (…)
Denn erschienen ist der Herr Jesus Christus, um von uns alle Befleckung zu nehmen, nicht um sich beflecken zu lassen, nicht um unseren Gebrechen zu unterliegen, sondern um sie zu heilen. Erschienen ist er, um jegliches Siechtum der Verderbnis und alle Eiterbeulen schmutzstarrender Seelen zu kurieren. Darum musste auch der unter neuen Umständen geboren werden, der dem Leibe des Menschen das neue Gnadengeschenk unbefleckter Reinheit brachte.
Musste doch die Makellosigkeit dessen, der geboren wird, die ursprüngliche Jungfräulichkeit seiner Mutter wahren, und die auf sie ausgeströmte Kraft des göttlichen Geistes das ihm wohlgefällige Bollwerk der Keuschheit und den Wohnsitz der Züchtigkeit rein erhalten. Hatte ja dieser Geist beschlossen, das Gestürzte wieder aufzurichten und das Zerbrochene wieder ganz zu machen und der Keuschheit zum Siege über die Lockungen des Fleisches gesteigerte Kraft zu verleihen, auf dass die Jungfräulichkeit, die bei anderen durch die Geburt nicht unversehrt bleiben konnte, auch bei anderen durch ihre Wiedergeburt ein Ziel der Nachahmung würde.
Heiliger Leo der Große
Auszug aus der 2. Predigt auf Weihnachten, Sermo XXII.
Deutscher Text: Leo der Große, Sämtliche Sermonen. Aus dem Lateinischen übersetzt und mit Einleitung und Inhaltsangaben versehen von Dr. Theodor Steeger. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 54-55) München 1927.